19.2.12

#SampleSunday - Königliche Republik ... Zwanzigstes Kapitel ...

Die Kaverne öffnete sich zu einem großen ovalen Raum. die Seitenwand rechts von ihr schwang sich in zwei großen Absätzen hinauf zur Decke. An der zweiten Stufe hatte Cesare sie angehalten. Hier hing die Decke noch eine Hand breit über ihrem Kopf, aber drei Schritte weiter reichte sie bis in ihren Nacken hinunter. Direkt an der Wand standen Pulverfässer in zwei Reihen hintereinander.
Mirella bückte sich und ging näher, um zu zählen.
„Zwölf!“
Sie wandte sich nach Cesare um und hob dabei prompt zu sehr den  Kopf. Sand rieselte ihr in die Haare und ins Gesicht.
Vorsichtiger geworden trat sie weiter zurück und sah sich um, so weit das Licht es zuließ. „Es gibt nichts als diese Fässer.“
„Sie werden die Zündschnüre mitbringen, damit sie gewiss trocken sind.“
„Wir wissen nicht sicher, dass in den Fässern Pulver ist.“
Ungeduldig hieb er mit der Fackel durch die Luft; sodass der Zug sie fast zum Erlöschen brachte. „Was wird einer hier lagern? Gesalzenen Fisch?“
„Du hast Recht! Ich will es immer noch nicht wahr haben.“
Langsam kam er ihr entgegen. „Sie muss den Dogen warnen. Allerdings ...“
„Ich werde den Weg nicht finden. Du musst die Franzosen hierher führen.“
„Ich zeige Ihr, wie man von hier in die Krypta gelangt; Sie muss sich nur diesen Zugang merken.“ Er nahm sie an der Hand und führte sie ans andere Ende des Raums.
In einer Nische hing eine schmale Strickleiter. „Sieht Sie jetzt, warum die Fässer über den langen Weg gekommen sind. Und warum dieser Ort perfekt ist?“
Sie reckte den Hals, aber sie konnte das Ende der Strickleiter im Dunkel der Höhe nicht erkennen. „Müssen wir dort hoch?“ Sie schluckte nervös.
„Ich halte die Leiter fest, bis sie oben angekommen ist.“
„Was ist dort oben?“ Ein eisiger Schauer überlief sie.
„Wir befinden uns unter der Krypta.“
Mirella zögerte. „Gibt es keinen anderen Weg?“
„Doch. Selbstverständlich.“
„Dann .... Wenn dort oben jemand ist ..“
Cesare rieb sich über die Stirn. „Freilich ... Aber ich bezweifle, dass sie von einer anderen Stelle aus die Soldaten führen kann.“
„Dann muss er das tun.“ Sie würde keinesfalls diese Strickleiter hoch steigen. „Er kann mir diesen Zugang morgen von außen zeigen. Oder den Franzosen.“
Cesare blickte nach oben, dann sah er sie wieder an. „Über diese Leiter wären wir sehr viel schneller draußen. Sie wird sich erkälten, wenn wir noch lange hier unten bleiben.“
Automatisch blickte sie an sich herab. Ihre Zehen fühlte sie fast nicht mehr und ihre Waden waren eisig. Cesare hatte gewiss recht. „Dann sollten wir nicht länger hier stehen bleiben.“
Cesare langte nach der Strickleiter und straffte sie. „Bitte, Signorina.”
Miralla stampfte mit dem Fuß auf. „Doch nicht hier!“
Seufzend ließ Cesare die Leiter los und griff nach ihrer Hand. Aber er führte sie nicht fort. „Wir können nicht an jeder beliebigen Stelle nach oben. Weiß Sie, zu wem die jeweiligen Bewohner halten?“
„Er wird es gewiss wissen.“ Ihr war maulig zumute, sie hatte zunehmend Lust, mit ihm zu streiten.
Da führte er sie endlich zurück an den Eingang der Kaverne. „Ein paar Schritte von hier führt ein Gang in den Hof eines Fischhändlers. Von dort kommen wir leicht ins Freie, selbst wenn man uns entdeckt.“
Erleichtert schlug sie neben ihm den angezeigten Weg ein. „Was fürchtest du?“
„Ich bin mir nicht sicher ... Wenn die Verräter zu früh davon erfahren, dass ihr Plan aufgedeckt ist, könnten sie ihn ändern. Aufgeben werden sie ihn gewiss nicht.“
„Also dürfen sie keine Zeit mehr haben, ihn zu ändern. Ich gehe gleich in der Früh zum Chevalier de Grignoire. Er wird Rat wissen.“ Lieber ginge sie zu Alexandre – aber sie würde nicht verbergen können, was sie trieb.
Sie gähnte; dies ließ sich an wie eine weitere Nacht, in der sie nicht zum Schlafen käme.
Sie betraten die Abzweigung. Von irgendwo kam ein plötzlicher Luftzug, der sie erschauern ließ. Se wickelte den Umhang fester um sich.
Gleich darauf drückte Cesare sie plötzlich an die Wand und löschte die Fackel. „Ganz still!“
Leise raschelte es in ihrer Nähe; das musste eine Ratte oder ein anderes kleines Tier sein. Sand knirschte unter Mirellas Fuß, als sie sich bequemer hinstellte. Es kam ihr vor, als warteten sie endlos – worauf eigentlich?
„Was ist?“, hauchte sie schließlich in Cesares Ohr. Er legte ihr die Hand auf den Mund.
Ergeben seufzte sie. Nun spürte sie ihre Zehen überhaupt nicht mehr und die von Nässe vollgesogenen Schuhe hingen schwer an ihren Füßen. Aber ihre Augen gewöhnten sich wieder an die Finsternis und sie konnte die hellere Wand, an der sie lehnte, von dem finsteren Loch des Tunnels selbst unterschieden. Nur zur Decke reichte ihr Blick noch nicht.
Schließlich tippte Cesare ihr auf die Schulter. „Vorsichtig!“
Cesare blieb nach jedem Schritt stehen und setzte die Füße nahezu geräuschlos. Mirella versuchte, es ihm gleich zu tun, obwohl sie ihn am liebsten ungeduldig vorwärts gedrängt hätte. Außer ihnen und den Tieren gab es hier doch niemanden. Mirella klapperte anfallsweise mit den Zähnen. Der Versuch, es zu unterdrücken, ließ ihre Kinngelenke schmerzen. Um sich abzulenken, begann sie ihre Schritte zu zählen.
Als sie bei fünfhundertvierundsechzig angekommen war, blieb Cesare erneut stehen. Er drehte sich um und tastete nach ihrer Hand. „Stufen. Zehn hinab, dann ein paar Schritte nach links; dann geht es nach oben. Sei Sie um Himmels Willen leise.“
Die freie Hand gegen die Wand gestützt, tastete sich Mirella von Stufe zu Stufe. Die unteren waren feucht und schmierig. Auf einer rutschte sie aus, aber Cesare hielt sie sicher und fing ihren Sturz auf. Einen Moment hielt er sie in seinen Armen und drückte sein Gesicht gegen ihre Stirn. „Wir haben es gleich geschafft.“
Eine Stufe tiefer trat sie in Wasser. Es war erst die achte. Bei der nächsten würde es ihr wieder in die Schuhe laufen. „Können wir nicht schneller gehen?“
Cesare zog sie dichter an sich heran, sodass sie gezwungen war, sich seinem Tempo zu fügen. „Wenn Sie stürzt, sind nicht nur die Füße nass.“ Aber als sie das Ende der Treppe erreicht hatten, lief er schneller.
Das Wasser reichte ihr bis zur Wade; zu spät hatte sie den Saum der Röcke in den Gürtel gesteckt. Nun schlug der nasse Stoff um ihre Beine.
Die Treppe nach oben war bedeutend länger als die andere. Anfangs zählte sie die Stufen. Aber bei der elften oder zwölften verzählte sie sich; und dann stützte sie sich nur noch schwer auf Cesares Arm und wartete darauf, am Ausstieg anzukommen.
Auch Cesare musste die Stufen gezählt haben, denn er stoppte sie, als ihr Kopf nur Zentimeter unter einer Decke war. Wieder drückte er sie an die Wand und legte ihr die Hand auf den Mund.
Sie streckte einen Arm aus nach dieser Decke über sich. Es war ein wärmeres Material als die Wände – eine Falltür wohl. Und wenn dort etwas darauf stünde?
Gedämpft drang das Bellen eines Hundes zu ihnen; dann war es wieder still.
Cesare wartete wieder eine Weile; dann drückte er vorsichtig gegen die Falltür. Geräuschlos öffnete sie sich einen Spalt und das graue Licht der Nacht wirkte geradezu hell nach der Dunkelheit der Kaverne.
Cesare wartete regungslos und Mirella reckte lauschend den Kopf. Er trat eine Stufe höher und schob die Falltür zur Hälfte auf. Vorsichtig blickte er über die Kante, dann streckte er die Hand nach ihr aus.
Mirella stieß sich von der Wand ab und stieg hoch, während Cesare die Falltür festhielt.
Sie befanden sich in einem umfriedeten Hof; der Ausstieg direkt neben einem Schuppen. Bis zum Haus waren es an die zwanzig Schritte. Dort brannte kein Licht; aber der Karren in der Mitte des Hofs würde sie sowieso den Blicken der Bewohner entziehen.
Eine Katze kam maunzend auf sie zu. Reflexhaft streckte Mirella ihre Hand aus, um sie zu streicheln. Da sprang die Katze sie mit einem wütenden Fauchen an. Entsetzt wich Mirella einen Schritt zurück und stürzte gegen Cesare.
Er ließ die Tür los, um Mirella aufzufangen. Mit einem lauten Knall schlug sie zu. Cesare gelang es, sich an der Wand abzufangen und den Sturz zu bremsen.
Der Hund begann zu kläffen.
„Verdammt!“
„Die Katze!“ Mirella schluchzte. „Sie hat mich angefallen.“
„Weg hier.“ Cesare schlug die Falltür auf, ohne sich weiter um den Lärm zu kümmern, den sie dabei machten.
Im Haus leuchtete eine Lampe auf; das Licht bewegte sich.
Er zeigte zur Mauer neben dem Schuppen. „Dorthin!“
Mirella raffte ihre nassen Röcke und lief los.
„Wer ist da?“ Der Männerstimme folgten Schritte von der Haustreppe; die Schritte mehrerer Menschen.
Mirella erreichte die Mauer. Die Kante war fast eine Kopflänge über ihr. Sie griff mit beiden Händen danach und versuchte, sich mit einem Klimmzug hochzuziehen. Doch sie konnte sich nicht halten; sie war viel zu müde und steif gefroren. Ihre Knie schürften sich an der Mauer auf, als sie abrutschte. Sie müsste es mit einem Anlauf versuchen, aber dazu hatte sie nicht mehr die Kraft.
Sie blickte zurück. Cesare war dicht hinter ihr; drei Männer liefen brüllend und mit Messern fuchtelnd auf sie zu.
Cesare erreichte sie und hielt ihr halb gebückt die gefalteten Hände für eine Räuberleiter hin. „Schnell!“
Sie stieg mit einem Fuß auf seine Hände und klammerte sich an der Mauerkrone fest. Er schob sie hoch und half ihr, ganz auf die Mauer zu steigen.
Sie sprang hinunter in die dunkle Gasse.
Cesares Gesicht erschien über der Mauer.
„Bleib hier, Bursche!“
Cesare schien nach jemandem zu treten; dann stöhnte er auf. Mirella griff nach seinen Händen und hielt sie fest. Sie zog und Cesare kam auf der Mauer zu liegen.
Eine Hand streckte er abwehrend in Richtung Hof; dann krümmte er sich stöhnend und ließ sich zu Mirella hinunterfallen.
Hinter der Mauer fluchte ein Mann.
Mirella starrte schreckensstarr auf ihn; dann bückte sie sich. „Bist du verletzt?“
Es war zu dunkel, um ihn genauer anzuschauen. Und keine Zeit. Sie half ihm auf die Beine.
Cesare keuchte. „Weg hier!“ Er taumelte vorwärts und presste eine Hand in die rechte Seite. „Da entlang!“
Mirella packte ihn unter einer Achsel, um ihn zu stützen, und er legte seinen Arm über ihre Schulter.
„Wo sind wir?“
Vicolo dei fasoi.“ Er lenkte sie in eine noch schmalere Gasse, in der sie kaum nebeneinander Platz zum Gehen hatten.
Am Ende der Gasse blieb Mirella stehen. „Wie kommen wir nach Hause?“
„Zu Fuß.“ Cesare stieß die Worte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Wir müssen etwas mit deiner Wunde machen.“
„Es war bloß ein Messer; es wird schon gehen.“
Mirella zog seine Hand von der Hüfte. Was da dunkel auf ihren Fingern schimmerte, war Blut. Sie zerrte an seinem Hemd; aber bevor sie es aus der Hose gezogen hatte, hielt er sie fest.
„Das hat Zeit!“
Sie bezweifelte es, aber es war sicher gut, den langen Weg in Etappen zurückzulegen.
Von Santa Carmine schlug es zwei, als sie auf die Piazza dell’Egidio heraustraten. Hier war die Nacht weniger dunkel und Mirella blieb stehen.
„Jetzt sind wir weit genug, dass ich deine Wunde verbinde.“ Sie streifte einen ihrer Unterröcke ab. Das nasse Ende wrang sie aus und dann wickelte sie den trockenen Teil als Druckverband fest um Cesares Taille und verknotete ihn.
Er knurrte, aber ließ es sich gefallen.
Eine halbe Stunde später ließ sie sich erschöpft auf die Stufen zur Basilica del San Piero fallen. „Mir ist kalt und ich bin müde. So kommen wir nie nach Hause.“
„Mir wäre eine Patrouille sehr gelegen, auch wenn sie uns einsperren täten.“
Sie legte den Kopf auf ihre Knie. „Was erzählen wir ihnen? Wir müssten beide dasselbe aussagen.“
„Dass wir von Verrätern angegriffen wurden, als wir sie entdeckt haben.“
„Was für Verräter?“ Sie seufzte.
„Das kommt darauf an, ob es eine Patrouille Anneses ist oder des Dogen.“
„Cesare, wie alt bist du eigentlich?“
Cesare räusperte sich. „Im April werde ich siebzehn. Ich habe am gleichen Tag Geburtstag wie unser Doge.“
Eine Uhr schlug Drei. „Lass uns weitergehen. Es dauert mindestens noch eine Stunde, bis die ersten Fischer unterwegs sind.“
„Niemand geht mehr fischen in diesen Tagen.“ Mirella seufzte.
„Und woher kommen die Fische auf dem Markt? Ein paar Männer haben ihre Boote in den Häfen von Marechiaro und Torre del Greco liegen; die machen sich um diese Zeit auf den Weg.“
Mirella schmunzelte unwillkürlich. „Cesare, mir scheint, auch du nimmst es mit der Ausgangssperre nicht so genau.“
Sie strich den Überrock glatt und erhob sich. „Gehen wir ein Stück weiter.“
Cesare zog sich mit ihrer Hilfe hoch; dann hakte sie ihn wieder unter und sie gingen langsam an den Häusern entlang ans gegenüber liegende Ende der Piazza.
Als sie eben die Straße überqueren wollten, klang hinter ihnen das Rattern von Rädern. Sie drückten sich in den Schatten eines Hauseingangs.
Ein kleiner Karren ohne Lampe, vor den ein Esel gespannt war, rollte langsam über die Piazza auf sie zu. Eine schmale Gestalt mit breitkrempigem Hut zeichnete sich gegen den Himmel ab; sie schien direkt auf dem Karren zu sitzen.
„Der ist bestimmt harmlos.“ Sie ließ Cesare los und trat ein paar Schritte auf die Piazza. „Signore!“ Sie griff nach ihren Röcken und hielt sie so weit ausgebreitet, dass ihre Silhouette sie unzweideutig als Frau zeigte.
Der Karren rollte weiter.
„Signore.“ Mirella winkte und lief ihm entgegen. „Bitte; er helfe uns.“
Der Karren hielt, kurz bevor Mirella ihn erreichte. Die Gestalt zog den Hut vom Kopf und helles langes Haar fiel auf ihre Schultern. Ein junges Gesicht blickte ihr entgegen, wohl noch jünger als sie selbst.
Mirella trat an den Esel und griff nach dem Leinenzeug. „Signorina, wir sind in einen Hinterhalt geraten. Mein Lakai konnte mich verteidigen; aber nun wird er sterben, wenn er nicht bald in die Hände eines Arztes kommt.“
Das Mädchen musterte sie von oben bis unten. „Wie kommt es, dass Sie zu Fuß unterwegs ist?“
„Das Kutschpferd ist tot.“ Sie würde sich nicht wundern, wenn das Mädchen ihr nicht glaubte. Sie täte es auch nicht; aber was sonst sollte sie sagen? „Es soll nicht Ihr Nachteil sein, wenn Sie uns nach Hause bringt.“
„Sehe ich aus, als ließe ich mich bezahlen?“
Mirella senkte den Blick. „Ich wollte Sie nicht kränken!“
„Und wo hat Sie Ihren Diener gelassen?“
Eingeschüchtert wies sie zur Straßeneinmündung.
„So bring Sie ihn hinaus auf die Piazza. Ich will sehen, dass es keine Falle ist.“


Zwanzigstes Kapitel aus: "Köngliche Republik". Historischer Roman. 
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