„Wie bitte? Du warst dir nicht sicher?”
Hollor schob den Kopf aggressiv vor und starrte Wribald ins Gesicht. Dann zog er deutlich hörbar Spucke im Mund zusammen und rotzte neben Wribalds rechten Fuß. Der verzog keine Miene, aber Sondria konnte ein Schaudern nicht unterdrücken. Hollor fixierte weiterhin stur Wribalds Augen, aber am Zucken seines Mundwinkels und der Augenbraue konnte sie sehen, dass ihm ihr Abscheu nicht entgangen war.
„Was genau war dir unklar an meinem Befehl? Der 'Findet sie, tötet sie und bringt mir ihre Beute'-Teil? Oder war es 'Findet sie, tötet sie und bringt mir ihre Beute“?'
Sie senkte den Kopf. So hatte sie sich das nicht vorgestellt, ihre erste Begegnung mit den glorreichen Rebellen, den Helden vom Ufer des Mondaugensees.
Die zerlumpten Gestalten, die sich um die beiden scharten, kicherten Zustimmung. Sondria holte tief Luft.
„Ist dir nach der Denk- nun auch die Sprachfähigkeit abhanden gekommen?” Hollor warf den Kopf in den Nacken und seufzte übertrieben. Dann wandte er sich betont langsam ihr zu; sie konnte seine Stiefelspitzen sehen, die sich in ihre Richtung drehten.
„Und wenn das mal nicht das Hürchen der Hexe ist. Statt der Dracheneier bringst du mir ein Weib. Typisch!”
Sondria schleuderte ihr Haar zurück und ihre Hand fuhr automatisch zum Kurzschwert an ihrer Hüfte. Oder genauer: dahin, wo es hätte sein sollen. Wo es gewesen war, bevor diese Vagabunden, die sich selbst die „Gerechten Rebellen” nannten, sie entwaffnet hatten. Es war ihr Glück gewesen, dass Wribald sie erkannte hatte; sonst hätte sie als reguläre Jagdbeute demjenigen der Männer gehört, der sie zuerst gesehen hatte.
„Lass sie in Ruhe. Sie gehört mir!” Wribald griff nach Hollors Schulter, aber der schüttelte ihn ab wie ein lästiges Insekt. Der Rebellenführer trat näher auf Sondria zu und griff ihr unters Kinn.
„Du sollst sie in Ruhe lassen!” Plötzlich schwang Wribald das Kurzschwert, das Sondria gerade vermisst hatte. Sie sprang vorwärts, um ihm in den Arm zu fallen, aber Hollor gab ihr einen harten Stoß vor die Brust, dass sie rückwärts auf die schlammige Erde taumelte. In derselben Bewegung riss er den Arm hoch, packte seinen Bruder am Handgelenk und drehte es brutal nach unten. Wribald schrie auf und ließ das Schwert fallen. Hollor ließ jedoch nicht los, er drehte solange weiter, bis sein Gegenüber mit schmerzverzerrtem Gesicht vor ihm kniete. Dann beugte er sich langsam vor und zischte ihm ins Ohr: „Kleiner Bruder, sieh dich vor. Du hast gerade eben den wahrscheinlich letzten Raubzug dieses Sommers vermasselt. Statt der Dracheneier bringst du mir diese Ketzerin, deren Gesicht sogar der Heilige selbst kennt. Statt Gold bringst du mir Tod und Verrat ins Lager; sieh dich vor! Blut mag dicker sein als Wasser, aber wenn man ein rechtes Loch in dich hineinschlägt, läuft es doch munter genug heraus.” Er stieß noch einmal nach, drückte die Nase des Geschlagenen in den Matsch und stolzierte schließlich davon. Über die Schulter rief er: „Deine neue Sklavin sollte dir ein Bad bereiten.” Dann war er weg, und mit ihm seine Männer.
Stille legte sich über die Szene, aber schnell drängten die Geräusche des Lagers sich in ihr Bewusstsein. Es war durch eine Baumreihe ihrem Blick entzogen und erstreckte sich längs des Seeufers. Eine Weile lag sie einfach so da und lauschte dem Klingen der Waffen, dem dumpfen Geräusch der Schleifsteine, dem Schnauben und Trompeten der Drachen, dem Plappern der Männer, den Schreien der Frauen. Sie lag da, starrte in den Himmel und fragte sich zum wohl millionsten Mal, warum ihr Leben sich so verändert hatte.
Die feuchte Nase Haruns riss sie in die Gegenwart zurück, und über ihr stand breitbeinig Wribald, mit schlammtriefendem Haar, und streckte ihr eine Hand entgegen. Sie griff zu und zog sich hoch. Etwas bohrte sich unangenehm in die weiche Sohle ihres Stiefels - ihr Schwert. Sie bückte sich, hielt dann aber inne und richtete sich wieder auf.
„Nimm’s ruhig, du kannst es tragen. Ich - ich erlaube es dir.” Wribald rieb sich etwas Matsch von der Stirn. „Na los!”
***
Vor seinem Zelt saßen zwei Mädchen von etwa zehn Jahren. Eins stocherte lustlos im Feuer herum, über dem ein Topf hing, das Andere schnippelte Yok-Wurzeln. Keines blickte hoch, als Wribald die Plane zurückschlug und ihr bedeutete, sie solle eintreten. Als sie zögerte, ging er voran; Sondria folgte ihm schließlich. Drinnen war sie immerhin vor dem schneidenden Wind geschützt, der jetzt so hoch in den Bergen schon eisig pfiff.
„Du hast Sklaven?” Sondria deutete mit einem Kopfrucken nach draußen. Wribald nickte nur und drehte ihr den Rücken zu, bevor er hinter einer Trennwand aus dünnem Stoff verschwand um sich umzuziehen. „Ich dachte, ihr kämpft für die Freiheit“, rief Sondria ihm hinterher. Wribald murmelte etwas, das sie nicht verstehen konnte. Wahrscheinlich war es auch egal, und Freiheit hieß mal wieder Freiheit für diejenigen, die sie sich auch leisten konnten. Mit geraubtem Gold ... „Was will Hollor denn mit den Dracheneiern?”
„Sie verkaufen, was sonst?”
„Aber wer würde denn Dracheneier kaufen? Nur die Elfen können damit umgehen.”
„Dann liegt nahe, sie an die Elfen zu verkaufen, oder?”
Sondria schüttelte den Kopf. „Warum sollten die Elfen Dracheneier kaufen? Sie produzieren sie.”
Wribald schnaubte ungeduldig und kam hinter dem Vorhang vor. Er blickte auf sie nieder und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Was will der Heilige mit den Dracheneiern?”
„Woher soll ich das wissen? Und was hat das jetzt mit uns zu tun?”
„Hollor klaut die Eier hauptsächlich, weil der Heilige so sehr dahinter her ist. Ich glaube nicht, dass er sich groß Gedanken gemacht hat, was er damit anfangen will, ehrlich gesagt. Aber ich habe Gerüchte gehört - von einem Pakt mit den Elfen, die westlich des Sees siedeln.”
„Ein Pakt mit Elfen?” Das wurde ja immer wilder. „Tut mir Leid, dass ich dir den Raubzug vermasselt habe.” (...)
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