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„Vor – vor – seit – ran ...“ Die helle Stimme von Ines Grube übertönte die Musik. Neun Paare mühten sich, den Anweisungen der Trainerin zu folgen.
Madeline Lagrange stemmte ihren Arm gegen die
Brust ihres Tanzpartners, um mehr Abstand zu schaffen. „Robert, du zerquetscht
mich gleich!“
Robert Merck schürzte die Lippen, aber er
lockerte seinen Griff. „Recht so?“ Spott klang in seiner Stimme. „Ich wusste
nicht, dass du so zerbrechlich bist.“
Sie verdrehte die Augen. Dabei kam sie prompt
aus dem Takt; Robert griff wieder fester zu.
Als sie an der geöffneten Tür vorbeitanzten,
warf sie einen Blick auf die große Uhr über der Bar. Sah aus, als wäre sie
zwischendurch stehen geblieben. Müsste die Stunde nicht gleich zu Ende sein?
Großpapa saß am Tresen und schien sie zu
beobachten; seine Füße bewegten sich im Takt. Auch nach fast zwanzig Jahren
hatte er noch nichts verlernt. Vielleicht sollte sie mit ihm üben statt mit
diesem nervigen Typen.
Ines stellte die Musik aus und verordnete
ihnen eine kurze Pause.
„Meine Güte!“ Madeline wischte sich mit dem
Handrücken den Schweiß von der Stirn. Dann blickte sie auf ihre Füße. „Meine
neuen Nylons dürften ruiniert sein.“
„Wenn du deine
Füße aber auch immer unter die meinen stellst.“
„Ach so ist das!“ Fand er das etwa witzig? Sie
ließ Robert stehen und ging an die Bar.
„Meine Madeline!“ George Lagrange hielt ihr
mit strahlenden Augen ein Glas Mineralwasser entgegen. „Du bist weitaus besser
als dein Partner. Wer ist das überhaupt?“
Marga Fischer, die neben dem Büro auch den
Tresen betreute, langte nach Georges leerem Glas, in der anderen Hand die
Rotweinflasche, um nachzuschenken. „Deiner Enkelin liegt der Rhythmus im Blut.
Vom wem mag sie das wohl geerbt haben?“ Mit einem Augenzwinkern schenkte sie
ihm nach.
„Von meinem Sohn bestimmt nicht. Der hat schon
wieder das halbe Labor in die Luft gejagt.“
Marga starrte ihn erschrocken an. „Nein!“ Sie
lachte nervös. „Du ziehst mich schon wieder auf!“
„Keineswegs. Es stand gestern in der Zeitung.“
Auf seiner Stirn erschien eine Ärgerfalte. „Erzählt hat er es mir natürlich
nicht.“ Er nahm Marga sein Glas ab und wandte sich wieder Madeline zu. .„Also,
wer ist das, mit dem du tanzt?“
Sie zuckte die Achseln. „Robert Merck. Sein
Vater ist wohl ein Kollege von Klaus Wächter.“
„Polizisten-Familie also.“ Die Falte auf
Georges Stirn verschwand. Als Robert gleich darauf an den Tresen kam, blickte
er dem jungen Mann freundlich entgegen.
Robert ließ sich von Marga ein Bier geben.
„Das habe ich mir jetzt verdient.“
„Was ist mit fahren?“, fragte Madeline spitz.
„Du wolltest mich nach Hause bringen.“
Er errötete bis zu den Haarspitzen. Madeline
verbarg ihre Erheiterung hinter ihrem erhobenen Glas.
George kratzte sich nachdenklich am Kinn.
„Werden Sie nach dem Schnupperkurs weiter bei uns tanzen?“
Roberts Blick ging zu Madeline. „Der Tanzclub
Lietzensee hat einen bemerkenswerten Ruf; das gefällt mir gut. Ich denke schon
– wenn sich eine Partnerin für den Tanzkreis findet?“
„Gewiss doch.“ George nickte zufrieden. „Dann
auf eine gute Zeit.“ Er hob sein Glas Robert entgegen. „Ich habe Sie eben
beobachtet.“
„Und? Was denken Sie?“ Robert spannte sich an.
„Kann ich hoffen, dass ich eines Tages perfekt bin?“
„Bah!“ Madeline schnaubte. „Was soll das? Fishing for compliments, Robert?“ Sie
gab sich keine Mühe, ihre Verachtung zu verbergen.
„Du verstehst heute wieder mal keinen Spaß,
Madeline! So oft habe ich dir doch gar nicht auf den Fuß getreten!“
George folgte Madelines unwillkürlichem Blick
nach unten. Am rechten Fuß hatte sie einen Schmutzfleck neben dem Knöchel. „In
Sandalen zu tanzen ist nicht sonderlich schlau. Leg dir richtige Tanzschuhe
zu.“
„Wozu? Wenn ich mit denen einmal über die
Straße gegangen bin, kann ich sie wegschmeißen.“
„Was machen Sie
beruflich, Robert?“
„Nichts Besonderes.“ Er zuckte die Achseln.
„Bezirksamt Reinickendorf. Aber gewiss nicht bis zum Ende meines Lebens.“ In
seine Augen kam ein Glitzern. „Eine Karriere als Turniertänzer ... Da kommt man
schon ins Nachdenken.“
„Ich war zu meiner Zeit recht erfolgreich.
Vier Mal unter den ersten drei der deutschen Meisterschaft; ebenso zwei Mal bei
den Weltmeisterschaften.“ Aber gewonnen hatte Großpapa nie; das verschwieg er
den jungen Leuten stets. „Mein Vater war schon bei den Anfängen des
Formationstanzes vor dem Zweiten Weltkrieg dabei. Madeline setzt die Tradition
der Familie fort.“
Was fiel ihm ein? „Großpapa!“ Madeline
schüttelte den Kopf. „Um einen Studienplatz in Medizin zu kriegen, weiß ich
schon jetzt, womit meine Tage bis zum Abitur ausgefüllt sein werden.“
„Du bist doch so klug, Madeline. Ich kann mir
gar nicht vorstellen, dass du so viel Zeit zum Lernen brauchst.“ Robert griff
nach ihrer Hand. „Es geht weiter.“
„Ich trinke noch mein Wasser aus.“ Madeline
entzog sich ihm und wedelte ihn in Richtung Tanzsaal. „Geh schon mal.“
Robert blickte zögerlich zwischen Madeline und
dem Tanzsaal hin und her. Dann begann leise die Musik; gleich würde Ines
weitermachen. Er setzte sich, immer noch zögerlich, in Bewegung.
„Puh!“ Madeline seufzte, als er außer Hörweite
war. „Er. Geht. Mir. Auf. Den. Geist.“
„Wieso denn? Er ist doch nett! Und so
ehrgeizig.“
„Er ist halt nicht mein Typ.“
George schmunzelte. „Und wer ist dein Typ?“
Sie blickte verträumt zur Decke. „Groß,
schlank, schwarzhaarig. Erwachsen.“
„Das klingt, als hättest du jemand Bestimmtes
im Sinn. Bist du in einen deiner Lehrer verschossen?“
Madeline lachte;
das ging Großpapa nichts an. „Ich geh dann mal wieder.“
Nach zwei Schritten blieb sie jedoch stehen.
Mit angehaltenem Atem starrte sie auf den Mann, der gerade hereinkam. Schlank
und breitschultrig; Jeans und T-Shirt so eng, dass sich die Bewegungen seiner
Muskeln darunter abzeichneten. Und schwarze Haare, wenn auch ein wenig zu kurz
für ihren Geschmack. „Wow!“ Sie atmete langsam aus. Hatte sie den etwa
gerade herbeibeschworen?
Aus den Augenwinkeln immer noch den Mann im
Blick, drehte sie sich zu Marga um. „Wer ist das denn?“
„Chris Rinehart, unser Caller!“
„Oh?“ Was sollte das denn heißen?
„Madeline!“ Robert winkte ihr heftig und sie
setzte sich mit einem Seufzer wieder in Bewegung.
***
Chris’ Blick hing an Madeline fest, die mit
offensichtlicher Unlust zum Tanzsaal stöckelte. Ihr hübsches Gesicht war zu
einer finsteren Grimasse erstarrt. Was tat das Mädchen hier, wenn es keinen
Bock aufs Tanzen hatte?
„Guten Abend, Chris!“ Marga riss ihn aus
seinen Betrachtungen. „Ich habe für Ersatz gesorgt. Die Anlage war nicht mehr
zu reparieren.“
George zog die Brauen hoch. „Ersatz, Marga?
Das ist in unserem Etat nicht eingeplant.“
„Eine Reparatur auch nicht. Aber das geht
schon. Ich habe mit Werner geredet.“
Georges Stirn glättete sich ein wenig. „Du
denkst auch immer an alles.“
Marga senkte schnell ihren Kopf über die Spüle
und stellte die leeren Gläser hinein. George schlenderte zum Tanzsaal. Chris
gesellte sich zu ihm und lehnte sich in den Türrahmen.
Die meisten Paare boten noch immer ein Bild
des Erbarmens. Und was Madeline mit ihrem Partner veranstaltete, sah mehr nach
einem Ringkampf als nach einem langsamen Walzer aus. Warum überließ sie ihm
nicht die Führung, wie es sich gehörte? Offensichtlich war dies hier nicht ihr
Ding.
Ihre Blicke kreuzten sich; unwillkürlich
lächelte Chris ihr zu. Sie errötete und blickte schnell weg. Chris mochte nicht
wegsehen. Die weinrote Strähne in ihren zerzausten dunkelblonden Haaren gab ihr
etwas Verwegenes, das ihn anzog. Es passte zu der Rangelei mit ihrem Partner.
„Der Kurs könnte an einem Abend gerne mal
verlängern und ich zeige denen ein paar Square Dance-Schritte“, sagte er zu
George.
George versteifte sich. „Das ist ein Schnupperkurs
für Gesellschaftstanz!“ Er räusperte sich und danach klang seine Stimme weniger
schroff. „Es ist schon problematisch genug, als Verein überhaupt einen Kurs
durchzuführen.“
Marga verdrehte die Augen; daraufhin
verzichtete Chris auf eine Erwiderung.
(...)
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