In einer fernen Zukunft haben zahllose Kriege und Umweltkatastrophen die
Welt zerstört. Hunger und Krankheiten haben die Menschen auf ihre
Urinstinkte zurückgeworfen. Die wenigen Überlebenden quälen sich
entweder als resignierte Einzelgänger durch endlose Winter. Oder sie
irren als heimatlose Gestalten umher und versuchen, den Untergang allen
Lebens zu beschleunigen. Erid haust seit drei Jahren einsam in einer
Höhle. Seit er seine Gefährtin verloren hat, zählt für ihn nur das
schlichte Überleben. Da taucht in der Ferne ein seltsames Licht auf. Am
gleichen Tag sucht eine verletzte Wölfin bei ihm Schutz. In Erid kehrt
die Neugier zurück. Merkwürdiges geschieht, während er mit der Wölfin
durch Schnee und Frost den Ursprung des Lichts sucht; und immer wieder
scheint die Wölfin klüger als er. Eine alte Frau, die ein Stück des
gefahrvollen Weges mit ihnen teilt, lehrt Erid neues Vertrauen. Und
schließlich begegnet er Miriam ...
Ein Adventskalender für Fans dystopischer Romane.
Als Taschenbuch und als E-Book erhältlich
Erid hockte in seiner Erdhöhle. Es tropfte von der Decke ins Feuer. Bei dem Gedanken, dass über ihm eine dicke Schneedecke lag und keine Aussicht auf Veränderung bestand, schüttelte er sich.
Sein Holzvorrat ging dem Ende zu; spätestens am Morgen musste er nach oben gehen. Fintenreich hungrigen Wölfen ausweichen auf der Suche nach Brennmaterial, das dann feucht war und ewig brauchte, bis er damit heizen konnte. Er stöhnte, als er daran dachte. Kratzte sich zwischen den dreckigen Zehen. Morgen würde er auch einen Eimer Schnee hereinholen, um eine Katzenwäsche zu veranstalten. Sein Erdbunker stank schon nach ihm. Er rümpfte die lange Nase.
Die Winter wurden immer länger. Jetzt musste ungefähr Anfang Dezember sein – mittlerweile konnte man mit acht Monaten Winter rechnen. Dabei war er ein absoluter Sonnenanbeter gewesen, der die Hitze liebte. Missmutig betrachtete er seine glanzlose braune Haut.
Von der Decke bröselte Erde auf seinen Kopf herunter. Da marschierten die Bisons wieder über ihm hinweg. Die Horde stampfte, alles vibrierte. Hoffentlich brach die Felsdecke nicht eines Tages ein. Sie würden ihn kurzerhand erdrücken.
Erid griff nach den Nussvorräten und klopfte ein paar Walnüsse mit einem Stein auf. Das Beben hörte auf und er seufzte erleichtert.
Dann bestieg er das Rad, das den Generator antrieb, um Musik zu hören. Während er gegen den Muskelschwund anradelte, lauschte er ergriffen Mozarts Requiem. Er hatte einige Schallplatten und den Plattenspieler hierher geschafft. Viele Nächte war er dafür unterwegs gewesen zwischen seiner Wohnung in der zerstörten Stadt und diesem Platz, der kilometerweit entfernt lag.
Die Höhle hatte Erid durch Zufall beim Wandern entdeckt. Damals lag der Eingang offen. Jetzt hatte er ihn mit Steinen getarnt. Aber immer, wenn er hinaus musste, überfiel ihn die Angst, sein Bau wäre anderweitig bewohnt, wenn er zurückkehrte. Bisher hatte er Glück gehabt.
Der letzte Satz des Requiems war zu Ende. Erid stieg vom Rad, legte sich aufs Bett aus Fellen, blies die Kerze aus.
Am Morgen rüstete er sich, um auf Holzsuche zu gehen. Vielleicht lief ihm auch ein Schneehase über den Weg, den er fangen konnte. Die Nüsse hingen ihm schon zum Hals heraus. Er räumte den Steinhaufen beiseite, der das Loch tarnte, und kroch nach draußen. Das gleißende Weiß ließ Erids Augen tränen. Er schlüpfte in die Riemen, die seine Schneeschuhe unter den Stiefeln hielten und machte sich auf den Weg.
Die Sonne verwandelte das vor ihm liegende Feld in Millionen Glitzerkristalle. Bei dieser Helligkeit würden die Wölfe wohl kaum aus dem Wald herauskommen, um ihn zu jagen.
Vorsichtig näherte Erid sich dem Waldesrand. Keinesfalls hatte er vor, tief hineinzugehen, aber das Bruchholz hier war nur spärlich vorhanden.
Er wagte sich zwei Meter weit zwischen die Bäume, den Blick wachsam auf die entferntere Umgebung gerichtet.
Deswegen übersah er eine Fichtenwurzel und verfing sich mit dem Schneeschuh darin, knallte der Länge nach hin. Als er aufstehen wollte, knickte der Knöchel weg. Den Schmerzensschrei unterdrückte er, biss sich auf die Lippen. Ängstlich blickte er in die Tiefe des Waldes, aber es war alles still geblieben. Er hinkte aufs Feld hinaus – wahrscheinlich hatte er sich ein Band im Knöchel gezerrt. Plötzlich hielt er an. Am Horizont, wo sonst das Blau des Himmels mit dem Schnee eine gemeinsame Linie bildete, war ein merkwürdiges rötliches Leuchten zu sehen.
Sollte das die Sonne sein? Kündigte sie das nahe Ende des Winters an? Erid vergaß den schmerzenden Knöchel und seine Brust weitete sich bei dem Gedanken an den Frühling. Vielleicht dauerte es nur noch kurze Zeit, bis die Wärme sich wieder für ein paar Monate über der Erde ausbreitete.
„Sonne, ich bete dich an“, flüsterte Erid, kniete nieder und hob die Hände.
So ein Blödsinn! Er rappelte sich wieder hoch.
„Wenn mich hier einer sehen könnte, der würde glauben, ich hätte einen an der Klatsche. Im Schnee knien und die Sonne anbeten. Der monatelange Winter hat meinen Verstand eingefroren.“ Frühling! Ebensolch ein Blödsinn. Es war doch erst Anfang Dezember. Woher sollte da der Frühling kommen?
Sicher, die Welt war verrückt, daran hatte man sich gewöhnt. Kriege, heilige, demokratische und machtgierige, gehörten zum Alltag. Millionen von Menschen waren gestorben, hinzu kamen Erdbeben, Flutkatastrophen und Seuchen. Die Medien hatten jeden Tag die Sterbeziffern gemeldet. Welche Namen standen hinter den Ziffern? Was waren es für Menschen gewesen, welche Wünsche, Hoffnungen, Ängste hatten sie gehabt? Viele von ihnen hatten gebetet. Weder Allah noch der christliche Gott hatten ihre Gebete erhört. Nun lagen sie unter der Erde und könnten sich damit trösten, dass sie nach allen Schrecken, die sie erlebt hatten, diese endlos langen Winter nicht ertragen mussten und nicht die Einsamkeit.
Und er ertrug sie schon seit Jahren. Drei Jahre Einsamkeit und monatelange Winter. Wie oft hatte er die Hoffnung verloren, wenn die Angst kam, dass der Winter nie aufhören würde. Wenn die Wölfe heulten und seine Essensvorräte fast aufgebraucht waren. Und dann wurde es doch wieder Frühling und mit ihm kam die Hoffnung zurück, dass es irgendwo jemanden geben könnte, der einsam war wie er und auf der Suche nach einer menschlichen Begegnung.
Und jetzt dieser Lichtstreifen am Horizont, der immer breiter und immer glühender wurde, als wollte er das Eis und den Schnee wegtauen. Ein Hoffnungsschimmer? Oder stand wieder ein Stück Welt in Flammen? Unwillkürlich schnupperte er, als könne er mit seiner langen Nase aus so weiter Entfernung Brandgeruch wahrnehmen.
Die Luft war klar und frostkalt. Sein Knöchel schmerzte.
3.12.
Erid beendete seinen Ausflug in die Gedankenwelt, stand auf und ging beladen mit dürren Ästen den Weg zurück zu seiner Höhle.
Plötzlich raschelte es nicht weit entfernt. Schnell duckte er sich hinter einen Felsvorsprung und legte die Zweige auf den Boden, ohne viel Geräusch zu verursachen. Ängstlich wagte er einen Blick hinüber zum Tannenwald.
Die Bäume waren längst nicht mehr grün. Vertrocknet, abgestorben, standen sie dicht aneinander gereiht und bildeten einen düsteren Kontrast zum Schnee. In der Ferne bewegte sich ein Schatten in dem rot leuchtenden Panorama.
Er kniff die Augen zusammen, um besser zu erkennen, was sich auf ihn zu bewegte. Ein Wolf! Angespannt drückte er sich dichter an den Stein; hoffentlich hatte der Wolf ihn noch nicht gewittert. Er fror, versuchte seine Hände zu reiben, die Zehen zu bewegen. Unendlich lange hockte er da.
Sollte er sich trauen, nochmals hinüber zu schauen? Er beugte sich vor. Erschrak und fiel rückwärts in den Schnee. Der Wolf stand unmittelbar vor ihm und taxierte ihn aus seinen gelbgrünen Augen. (...)
Leseprobe aus: "Leuchtende Hoffnung". Science Fiction-Roman als bebilderter Adventskalender.
ISBN der Taschenbuchausgabe 9782902412563.
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