(...) Als das blendende Licht erlosch, nahm Silvana die Hände von den Augen und blinzelte. „Doriano, wo ist dieser Mann geblieben?“
Sie sah sich nach allen Seiten um. Feu verschwand gerade im Wald, doch von dem geheimnisvollen Fremden fehlte jede Spur.
Doriano rieb sich die Augen und wollte gerade antworten, da funkelte ihm etwas aus dem Schilf entgegen. Neugierig trat er näher. Es war ein silberfarbenes Band mit einem großen schillernden Anhänger. „Schau doch!“, rief er Silvana zu, während er es aufhob.
„Hast du wieder einen Kieselstein gefunden?“ Sie lächelte und griff nach seiner Hand. „Komm, wir müssen uns um Feu kümmern!“
Doriano steckte das Band in die Hosentasche und folgte ihr. Froh darüber, dass die Hufspuren zum Hof führten, interessierte ihn der Fremde nicht länger.
Erleichtert hörten die Geschwister von weitem Larissas Wiehern und die Antwort des Fohlens. Aber dann erspähten sie im Dämmerlicht des Stalls eine Gestalt neben Feu und der Stute.
Doriano blieb abrupt stehen. „Nicht schon wieder!“
Silvana schlich leise zur Tür – und lachte auf, als sie eintrat. „Federico, was machst du denn hier? Ich denke, du bist im Sommerpalast des Königs.“
Federico fuhr mit der linken Hand durch sein Haar. „Ich komme gerade zurück. Als ich die Rauchwolke über dem Tal stehen sah, bin ich sofort zu euch geritten.“
„Es war eine lange Nacht“, seufzte Silvana. Sie ließ sich auf einen Strohballen fallen und lehnte sich erschöpft gegen die Boxenwand. „Wenn es nicht wie aus Kannen gegossen hätte, wäre das ganze Haus abgebrannt.“
„Aber euch und den Tieren ist nichts passiert, nicht wahr? Und Larissa hat ein zauberhaftes Baby!“ Er strich dem Fohlen über den Rücken.
„Wir hatten Glück im Unglück“, bestätigte Doriano, der an der Tür stehen geblieben war.
„Gerade haben wir das Fohlen gesucht; es war das ausgerissen“, ergänzte Silvana leise und gähnte. Sie überlegte, ob sie den Zwischenfall mit dem Fremden erwähnen sollte, aber dann entschied sie, dass das warten konnte, bis sie ausgeschlafen waren. Wenn er sich weiter in der Gegend herumtrieb, würden ihn die Männer aus dem Dorf auch an einem anderen Tag finden. „Wieder einmal eine Nacht ohne Schlaf. Erst die Geburt von Feu, anschließend der Brand. Ich bin völlig erledigt. Keine Ahnung, wie es im Haus aussieht.“
„Dann kommt, Kinder!“ Entschlossen ging Federico voran. „Nehmt Wasser mit; es mag noch Brandnester geben.“
Sie gingen gemeinsam zum Brunnen und Federico reichte ihnen die Eimer, die sie füllten.
Vorsichtig betraten sie das Haus. Es stank nach Rauch und Verbranntem. Der grüne Treppenläufer hatte sich voll gesogen und sah fast schwarz aus. Im Treppenauge lagen angekohlte Trümmerstücke und darüber gähnte ein großes Loch. An der Wand sickerte Wasser entlang.
„Die Sonne wird schnell alles getrocknet haben.
In der Küche griff Federico nach einem Besen. Trotzdem er nur eine Hand hatte, gelang es ihm mühelos, ihn auszubalancieren. Er klopfte an mehreren Stellen gegen die Decke, aus der Feuchtigkeit quoll. Putz bröckelte herunter. „Gut“, meinte er schließlich. „Die scheint sicher zu sein. Die Küche könnt ihr benutzen.“
ersten Stock. Dort war ein Teil der Decke eingebrochen. In Silvanas Bett stak ein verkohlter Balken. Ein großer Spiegel mit Intarsien lag zerschmettert am Boden.
„Oh nein! Mutters Spiegel!“ Bevor einer der Männer sie daran hindern konnte, den Raum zu betreten, kauerte sie davor. Sie rieb Ruß vom Rahmen und versuchte, ihn aufzurichten. Als sie den schweren Spiegel anhob, lösten sich einzelne Scherben und eine davon fiel auf ihren bloßen Arm. Sie stöhnte auf.
Im nächsten Augenblick stand Federico neben ihr. „Nicht weinen, Silvana. Das Glas kann man ersetzen. Du wirst sehen, er wird wieder wie neu.“
„Dann ist er aber nicht mehr derselbe.“ Erschöpfung und Müdigkeit brachen sich endlich Bahn und mit einem Schluchzen barg sie ihr Gesicht an seiner Schulter.
Federico zog sein Taschentuch hervor und wischte behutsam das Blut ab, das an ihrem Arm entlang sickerte. Doriano holte ein zweites aus einer Kommode. Er roch daran und verzog das Gesicht, verband aber trotzdem notdürftig die Wunde damit.
Dann sah er sich im Schlafzimmer um und goss über einem Teil des Deckenschutts das Wasser aus. Ein Blick nach oben sagte ihm, dass man den Dachstuhl wohl nicht betreten konnte. Dennoch lief er zum Brunnen zurück und füllte die Eimer neu.
Seine Vermutung bestätigte sich: Zuerst mussten die Trümmer beseitigt werden. Und der Teil des Daches, der noch stand, wirkte bedenklich baufällig. Auch wenn es eine nutzlose Geste war; in hohem Bogen schüttete Doriano das Wasser über die angekohlten Balken.
„Kommt, Kinder!“ Federico ging auf den Hof hinaus. „Wir lassen uns erst einmal von Teresa verwöhnen: Bis wir bei mir sind, wird sie das Mittagessen fertig haben. Inzwischen werden zwei meiner Leute Brandwache halten. Später helfen wir euch beim Aufräumen.“
Silvana und Doriano suchten halbwegs saubere Kleidung zusammen, sattelten zwei Pferde und folgten ihm.
***
„Miodio, miodio“, empfing die alte Teresa sie in der Küche des Weinguts. „So ein Unglück!“ Sie rang die Hände, als sie der zerzausten und verschmutzten Geschwister ansichtig wurde. „Das hast du gut gemacht, Federico, dass du sie hierher gebracht hast. Setzt euch, Kinder, setzt euch. Ihr werdet jetzt erst einmal tüchtig essen.“ Schnell schürte sie das Feuer im Herd und setzte einen Kessel auf. „Und Emma macht inzwischen heißes Wasser für euch. Gebt ihr eure Kleider; sie wird sie waschen und ausbessern. – Was hast du da am Arm, Kindchen?“ Sie zog Silvana an das niedrige Fenster. „Du bist ja verletzt. Auch das noch! Da werden wir uns gleich drum kümmern.“
Lächelnd wehrte Silvana sie ab. „Es ist bloß ein Kratzer!“
„Nein, nein, Kindchen! Mit all dem Dreck, das kann böse werden.“ Teresa öffnete die Tür zum Hof. „Emma, Emma! Wo steckt das Gör?“ Sie lief das kurze Stück zur Waschküche hinüber. „Emma, ich brauche dich! Und bring sauberes Leinen mit. – Rosalba! Mach die beiden Räume im Seitenflügel fertig.“ Anschließend deckte sie in Windeseile in der Küche den Tisch. „Ihr braucht erst einmal Ruhe nach dem Schrecken. Ist euer Haus überhaupt bewohnbar? Unsere Leute werden sich inzwischen um alles kümmern. Nicht wahr, Federico? – Silvana, nun setz dich endlich!“
„Silvanas Zimmer ist ein Trümmerfeld“, antwortete Federico. „Bleibt nur bei uns, bis der größte Schaden beseitigt ist. Wenn ihr ausgeschlafen habt, sehen wir weiter.“
Vom Schlafen wollten Doriano und Silvana nichts wissen. Nachdem sie gegessen und gebadet hatten, waren sie bereit zum Aufbruch. Ihre schmutzigen Kleider ließen sie in der Badestube liegen.
***
Rosalba stand schweißüberströmt und schimpfend am Waschzuber, als Emma die Kleidung der Geschwister brachte. „Noch mehr! Und alles bei dieser Hitze! Hat das nicht Zeit bis morgen?“, maulte sie und wedelte nachdrücklich den Wasserdampf vor ihrem Gesicht beiseite.
„Meinst du, morgen ist es weniger heiß? Der Sommer hat erst angefangen!“
„Was bist du wieder spitz!“ Rosalba verdrehte die Augen.
„Mach deine Arbeit“, fuhr Emma sie an und warf die Kleider in den Bottich.
Mit einem empörten Schnaufen schüttete Rosalba einen Eimer heißes Wasser nach. Dann zog sie Dorianos Hose aufs Waschbrett. Es klirrte leise. Neugierig beugte sie sich über den Zuber und sah eine Kette im Wasser niedersinken. Sie griff nach dem großen Anhänger. Da war ihr, als schaue sie daraus ein dunkles Auge an. Erschrocken fuhr sie zurück und ließ ihn wieder fallen.
„Was hast du?“, fragte Emma.
„N… nichts.“ Rosalbas Gesicht wurde noch röter als zuvor. „Ich … Das Wasser ist zu heiß.“
Kopfschüttelnd wandte sich Emma ab. „Dumme Pute“, sagte sie im Hinausgehen; laut genug, dass Rosalba es hören musste.
Rosalba wartete einen Augenblick, bevor sie erneut nach der Kette tastete. Wieder schien ihr, als starre sie durch den Dampf ein Auge an. Plötzlich ertönte ein leises Fauchen. Erschreckt blickte sie über die Schulter, aber von den Katzen war keine zu sehen.
Sie hielt das Amulett ins Licht, um es genauer zu betrachten: Es war ein schillernder dunkler Stein, der ungewöhnlich schwer in ihrer Hand lag. ‚Wie viel mag er wohl wert sein? Wenn ich ihn verkaufen könnte, ob ich genug Geld hätte, um von hier fortzukommen?’
Andächtig strich sie über das silberne Band. Da hörte sie ein Wispern. Blitzschnell versteckte sie die Kette in ihrer Schürze und eilte zur Tür. Aber niemand war auf dem Hof zu sehen. Sie schüttelte den Kopf und kehrte wieder an den Waschbottich zurück.
***
Am Gestüt angekommen, brachten sie die Pferde auf die Koppel. Doriano blickte zum Dach hinauf. „Federico und seine Männer haben ganze Arbeit geleistet.“ Zwischen Haus und Geräteschuppen lagen angekohlte Dachbalken und Ziegel aufgeschichtet. „Komm, Schwesterchen, schauen wir nach, was übrig geblieben ist.“
Die Sonne ging bereits unter und die alten Pinien warfen lange Schatten. Doriano öffnete das schwere Portal. Es quietschte in seiner Angel. „Das muss dringend geölt werden“, bemerkte er, als ob es nichts Wichtigeres gebe.
Silvana betrat zuerst die Wohnstube. „Schau, hier ist alles einigermaßen in Ordnung!“ Sie strich über die Anrichte und betrachtete den kleinen Rußfleck auf ihrer Hand. „Wir könnten uns erst mal hier unten einrichten und danach die oberen Räume instand setzen.“ Sie ging zum Fenster und zog die Gardinen auf. „Die Vorhänge müssten allerdings abgenommen werden, sie stinken.“ Silvana rümpfte die Nase.
„Da muss noch einiges mehr gemacht werden.“ Unbemerkt war Federico ins Haus getreten. „Ich denke, das Dach werdet ihr komplett ersetzen müssen. Genauso wie Teile des ersten Stocks.“
„So schlimm?“ Silvana senkte den Kopf.
Federico ging zu ihr hinüber und fasste sie unters Kinn. „Kopf hoch. Das wird wieder werden. Ihr habt jetzt euer erstes Fohlen und notfalls bin ich auch noch da.“ Er legte den Arm um ihre Schulter.
Silvana beschlich ein seltsames Gefühl bei dieser Berührung. Verlegen suchte sie nach einer Antwort.
„Silvana, die Lebensmittel sind alle in Ordnung. Ach, Federico ...“ Doriano blieb im Türrahmen stehen und kniff die Augen zusammen.
Federico ließ Silvana los und trat einen Schritt zurück. „Ich habe meine Männer bereits nach Hause geschickt“, sagte er. „Ich muss jetzt auch wieder zurück. Wenn ihr Hilfe braucht, ihr wisst ja, wo ihr mich findet.“
Silvana schaute ihm versonnen nach, als er über den Hof ging. Trotz der fehlenden Hand schwang er sich mit Eleganz aufs Pferd.
„Ich gehe füttern. Kommst du mit?“, fragte sie ihren Bruder.
Doriano ging voraus, schob den schweren Riegel zurück und öffnete das Tor. Im Inneren des Stalls war es bereits dunkel. Die wenigen Pferde verhielten sich ungewöhnlich ruhig; sie vernahmen nur ein leises Scharren.
„Wo hast du die verdammte Laterne gelassen? Letzte Nacht hattest du sie noch.“
Es raschelte in der Ecke, in der Doriano die Laterne suchte. Ein Zinkeimer fiel polternd um.
„Doriano? Wo bist du?“ Silvana tastete sich langsam die Stallgasse entlang bis zur vierten Box, in der Larissa stand. „Doriano? Ich fürchte mich. Irgendetwas stimmt hier nicht.“
„Ja doch. Hier hinten bin ich. Dass du dir einfach nicht angewöhnen kannst, alle Dinge wieder an ihren Platz zu stellen.“
„Wieso ich? Du hattest sie zuletzt“, fauchte Silvana. Dann sprach sie leise weiter. „Larissa? Feu? Ich bringe euch frisches Stroh.“ Sie zog die Tür auf und betrat die Box. Die Stute schnaubte leise, als sie näher kam.
Plötzlich spürte Silvana einen warmen Windzug im Nacken und hatte das Gefühl, dass etwas ihren Arm streifte. Ihr Herz begann zu rasen.
„Doriano? Bist du das?“, flüsterte sie panisch. Sie bekam keine Antwort und wagte nicht, sich umzudrehen. Feu und die Larissa drängten näher zu ihr heran. Das Fohlen zitterte. Instinktiv presste Silvana ihren Körper an das Pferd. Und wieder – ein Windhauch, jemand berührte ihre Schulter. Sie erstarrte und hielt den Atem an. Plötzlich drückte ihr etwas die Kehle zu.
Feu stieg hoch, trommelte mit den Vorderläufen auf den Angreifer ein und schnaubte wütend. Der Druck auf ihren Hals lockerte sich. Sie verlor das Gleichgewicht und stürzte. Im Fallen hörte sie das dumpfe Stöhnen eines Mannes.
„Doriano! Doriano!“
Feu und Larissa wieherten abwechselnd. Da flackerte Licht auf, tauchte den Stall in Dämmer. Silvana sah eine Gestalt, die zum Ausgang rannte.
„Doriano, das war der Mann im braunen Umhang vom See. Er wollte mich umbringen! Was will er von uns?“ (...)
Leseprobe aus dem 3. Kapitel. Das Feuerpferd.
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